Orgelnacht zum Domjubiläum - Freitag, 23.9.2022

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Auf den Dreiklang Dom, Nacht, Musik setzt Domorganist Winfried Bönig, der an diesem Freitag gemeinsam mit vier Kollegen zu einer Orgelnacht einlädt. Für seine Zuhörer verspricht er sich davon ein ganz besonders intensives Dom-Erlebnis.

21.09.2022Von Beatrice Tomasetti


Herr Professor Bönig, zum Abschluss der Domjubiläum-Konzertreihe gibt es fünf Stunden Orgelmusik am Stück. Erst zum zweiten Mal überhaupt veranstalten Sie im Kölner Dom eine solche Orgelnacht. Was verbinden Sie damit?

Winfried Bönig (Domorganist): Es war klar, dass nach den diesjährigen Orgelfeierstunden, die ja erst Anfang September zu Ende gegangen sind, nicht noch eine weitere Orgelstunde oben drauf gesetzt werden sollte, sondern zu dieser 700-Jahr-Feier des Hochchores ein neues Format her musste, das der Größe des Ereignisses entspricht. Da bot sich dann eine Orgelnacht an, wie wir sie anlässlich des 333.Geburtstages von Johann Sebastian Bach 2018 schon einmal hatten. Trotzdem soll sie etwas Besonderes bleiben. Aber ein Domjubiläum ist eben auch ein spektakulärer Anlass für kreative Ideen. Ich verstehe diese Orgelnacht als Hinführung zu dem dann folgenden zentralen Wochenende und dem eigentlichen Weihetag des Chores, auf den hin wir mit diesem Musikangebot eine Tür öffnen. Mir war wichtig, dass auch die klassische Orgelmusik – nach den viel beachteten anderen Konzerten zum Domjubiläum in den letzten Wochen – da einen wesentlichen Beitrag leistet und dieser Orgelreigen Wegcharakter hat, an dem sich auch Kollegen aus dem ganzen Erzbistum – alle mit internationaler Expertise – beteiligen. Denn dieses Domjubiläum strahlt ja in die Diözese hinein und ist nicht nur ein Kölner Thema. Alle sollen Gelegenheit haben, sich auf diese Weise mit ihrer Bischofskirche zu identifizieren und das Geschehen hier zu konzentrieren.

Ein solcher Marathon bis morgens früh um 1 Uhr wäre ja konditionell alleine gar nicht zu stemmen. Nach welchen Kriterien haben Sie nach Mitstreiterinnen und Mitstreitern Ausschau gehalten?

Bönig: Wir musizieren nun zu fünft – und zwar immer im Wechsel. Für das Projekt konnte ich meine hochgeschätzten Kollegen Iris Rieg, Orgeldozentin in der Dommusik, und Christoph Kuhlmann aus der Innenstadtkirche St. Andreas, Alexander Niehues aus St. Lambertus, Düsseldorf, und Michael Bottenhorn aus Bonn-Beuel gewinnen. Wir haben im Erzbistum eine blühende Szene mit hervorragenden Organisten, so dass ich locker noch zehn weitere zum Mitmachen gefunden hätte. So aber sind wenigstens die Metropolen vertreten. Schließlich sollte die Zusammenstellung möglichst interessant sein. Denn wir haben wirklich eine Vielzahl toller Musiker im Erzbistum in großen Kirchen mit faszinierenden Instrumenten. 
Nun gibt es eine attraktive Mischung aus ganz unterschiedlichen Charakteren, von denen jeder jeweils anders mit der Orgel umgeht. Das ist in etwa der Vielfalt von Malern vergleichbar, die ja auch ihren je eigenen Stil pflegen, der sich dann von dem der anderen unverkennbar abhebt. Ich freue mich auf diese inspirierenden Künstlerpersönlichkeiten, die auch ganz andere Stücke ausgewählt haben als ich. Sie stehen für eine große Bandbreite an Ausdruck und Farbe, die sie der Domorgel entlocken, und sorgen damit für manchen Aha-Effekt. Wenn man so will, spricht jeder seine eigene Sprache, hat seinen unverwechselbaren Dialekt. Hinzu kommt – wie gesagt – dass wir nicht fünf einzelne Konzerte hintereinander hören, sondern durch den ständigen Wechsel am Orgelpult und auch die Moderationen zwischendurch, für die der Journalist und Orgelfachmann Henning Schoon zur Verfügung steht, einen durchaus spannenden und eher kurzweiligen Abend miteinander verbringen werden.

Also darf man sich auch auf Erläuterungen zu der gewählten Literatur freuen?

Bönig: Manchmal ist es hilfreich, wenn man etwas über die Entstehungsgeschichte eines Werkes erfährt oder über die biografische Phase des Komponisten, in der es geschrieben wurde. Mit seinen Informationen wird Herr Schoon die Musik, die wir hören, in alle möglichen Richtungen verbinden. Außerdem soll dieses Konzert nicht wie ein Fließband durchlaufen, sondern auch mithilfe geistlicher Impulse die Möglichkeit zum Innehalten bieten. Wer Musik hört, braucht oft eine Orientierung. Man muss ja zur Musik hingeführt werden. Denn nach fünf Stunden kann man auch schon mal schnell die Orientierung verlieren. Die Musik aber ist eine Sprache und setzt Wegmarken. Infolgedessen hört man Musik anders, versteht sie besser, wenn jemand sie dem Hörer „aufschließt“.

Wie kommt für eine solche Nacht die Programmauswahl zustande? Ich vermute ja, dass Sie das Publikum auch mit besonderen „Schmankerln“ ködern müssen, um durchzuhalten. Schließlich ist nicht jeder ein Nachtschwärmer…

Bönig: Es liegt geradezu auf der Hand, dass bei einer 700-Jahr-Feier das Gebäude und damit die Zeit, in der es errichtet wurde, im Zentrum steht. Daher habe ich mich selbst für Musik entschieden, die nicht ganz, aber doch fast aus dieser Epoche stammt. So oder so ähnlich muss es jedenfalls damals geklungen haben, wenn ich das Kyrie aus dem „Codex Faenza“, im frühen 14. Jahrhundert entstanden, spiele. Grundsätzlich ist ein sehr buntes facettenreiches Programm entstanden – aus allen Epochen und beginnend im Barock. Kollege Kuhlmann wird zum Beispiel ein Allegro aus der 6. Symphonie von Widor spielen oder „La cathédrale engloutie“ von Debussy. Alexander Niehues spielt ein Präludium und Fuge von Bach, aber auch das „Piece Héroique“ von César Franck.  Iris Rieg greift eine Transkription aus der Klaviersonate „Pathétique“ von Beethoven auf und bringt ihre eigene Komposition „Suite francaise“ zu Gehör. Kollege Bottenhorn spielt den „Orpheus“ von Liszt, aber auch „Communion und Sortie“ aus der Pfingstmesse von Oliver Messiaen. „Tria sunt munera“ kommt ebenso vor wie Wagners „Grand march from Tannhäuser“ oder die Reliquienprozession „Colonia Sancta“ von Enjott Schneider. Man wird hin- und hergeführt von ganz Alt bis Neu, was sehr unterhaltsam ist. Wer in Orgelliteratur firm ist, wird viele gängige Stücke wiederfinden. Aber auch Unbekanntes wird für Überraschungen sorgen. Schließlich durfte jeder seine Lieblingsstücke mitbringen.

Nun hat der Dom „by night“ für sich genommen ja schon eine ganz eigene Faszination…

Bönig: Genau. Ich glaube schon, dass sich von diesem Dreiklang Dom, Nacht, Musik manch einer fangen lässt. Da ich meistens nachts übe und dabei viel alleine im Dom bin, weiß ich aus Erfahrung, wie dieses Gotteshaus dann an Atmosphäre gewinnt, sich diese gewissermaßen verdichtet und wie sehr diese Kathedrale dann auch nochmals ihr Wesen verändert. Da kann man richtig in ihr versinken – auch spirituell – und wird noch einmal ganz anders in diesem heiligen Raum auf sich selbst zurückgeworfen. Dieses Erleben wünsche ich auch anderen.

Was möchten Sie darüber hinaus den Menschen mit einem solchen nächtlichen „Wandelkonzert“, wie Sie es nennen, mitgeben?

Bönig: Zunächst einmal: Man darf sich bewegen, auch mal eine Pause einlegen und rausgehen. Aber auch wiederkommen. Es gibt keine zwingende Programmfolge, der man sich anpassen müsste. Und fünf Stunden sind selbst für große Orgelliebhaber eine Herausforderung. Eine solche Orgelnacht richtet sich als Einladung an Menschen, die abseits des Besichtigungstourismus nach Tieferem suchen. Von daher glaube ich, dass man in einem Wandelkonzert ganz anders gegenüber dem aufgeschlossen ist, was man da zu hören bekommt. Gleichzeitig hat man die Möglichkeit, mehr über diesen Dom und seine Orgel zu erfahren. Eine solche Nacht schafft eine ungewöhnlich konzentrierte Situation und schenkt die einmalige Gelegenheit, aus gewohnten Erfahrungsmustern auszuscheren, den Dom mit seinen jahrhunderte alten Mauern noch einmal ganz neu mit allen Sinnen zu spüren und dabei vielleicht auch etwas von seinem Geist zu atmen.

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